Teil zwei eines dreiteiligen Gastbeitrages von Dirk Kropp und Christina Barandun
Morihei Ueshiba und die beiden Bedeutungen des Budo
Die Entstehung des Aikido als friedfertige Kampfkunst ist der Willensstärke, der hohen Spiritualität und dem tiefen Friedenswunsch eines erfahrenen Kampfkunstmeisters zu verdanken: Morihei Ueshiba (1883-1969). Ueshiba wurde in eine Zeit hineingeboren, in der Bushido zu nationalistischen Zwecken wieder belebt und betont militärisch ausgelegt wurde. Zwanzig Jahre zuvor hatte sich Japan dem Westen geöffnet und geriet in eine turbulente Umbruchszeit.
Mittlerweile war Japan dabei, sich vom überwaltigenden Einfluss des Westens zu lösen, ein eigenes Nationalbewusstsein zu entwickeln, die neu gewonnene militärische Stärke nach außen hin zu beweisen und sich als asiatische Großmacht zu etablieren, Um das eigene Nationalgefühl für diese kriegsonentierte Zeit zu stärken, lag es nahe, die alten japanischen Kriegerwerte wieder aufleben zu lassen. Der frühere Kampfgeist der Samurai wurde heraufbeschworen und verherrlicht. Die fast vergessenen, traditionellen Kampfkünste wurden wieder entdeckt, aufgewertet, modernisiert und nun – in Anlehnung an Bushido – unter dem neuen offiziellen Oberbegriff »Budo« zusammengefasst, der auch heute noch geme als Sammelbegriff für die japanischen Kampfkünste verwendet wird.
Bis zum Zweiten Weltkrieg dienten die militarisch ideologisienen Budo-Künste der körperlichen und moralischen Aufrüstung des Volkes. Auch Ueshiba war zunächst von der kriegerischen Seite der Kampfkünste fasziniert. Er galt als ausgezeichneter Kämpfer, beherrschte neben verschiedenen Schwert- und Lanzentechniken auch diverse waffenlose Jujutsu-Stile und übte sich eine Zeit lang in dem damals neu entstandenen Judo. Er diente mehrere Jahre als Soldat, war an der Front im russisch-japanischen Krieg und wurde später besonders in Militärkreisen ein zunehmend berühmter und begehrter Kampfkunstlehrer.
Umso bemerkenswerter ist es, dass sich in der Mitte seines Lebens ein Wandel vollzog und Budo für ihn eine friedliche Bedeutung bekam. Eine Phase innerer Einkehr, ausgiebige Meditationen, die er sein gesamtes weiteres Leben lang pflegen sollte, ein intensives Studium religiöser Schriften und die fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Führer einer spirituellen Bewegung ließen ihn nach und nach zu der Überzeugung gelangen, dass er sein Leben nicht mehr dem Kampf, sondern aktiv dem Frieden und der Harmonie unter den Menschen widmen wollte. Dabei wandte er sich nicht von den Kampfkünsten ab, sondern suchte einen Weg, die körperliche Gewandtheit, die Geisteskraft und Charakterstärke, die man in den Kampfkünsten erlernen kann, durch und durch friedlich einzusetzen. Als Leitfaden für diese Suche diente »Budo«, das er nun sozusagen wortlich nahm und entsprechend friedfertig interpretierte. Budo besteht aus zwei japanischen Schriftzeichen: »Do« als Zeichen für den Weg und »Bu« als Zeichen für die Militarkünste. Genauer betrachtet setzt sich jedoch das Zeichen »Bu« aus zwei Teilzeichen zusammen, die für »Waffen« und »anhalten« stehen. Meint man mit Waffen nicht nur die Waffen der anderen, sondern auch die eigenen, wird Budo zu einem Weg, den Waffen der anderen Einhalt zu gebieten, ohne die eigenen einzusetzen – eine praktische Anleitung zu einem friedlichen Handeln. In dieser ethischen Vision war Budo für den Gründer des Aikido auch die treibende Kraft auf seiner lebenslangen Suche nach einer friedfertigen Kampfkunst.
Soweit Teil 2 unserer kleinen Reihe.
Im ersten Teil haben wir kurz die Entwicklung der Kanpfkunst in Japan und des Boshido beleuchtet. Zu lesen HIER.
In Teil 3 werden wir uns dem Ansatz des Aikido im Sinne des Gründers widmen.
Dieser Text stammt mit freundlicher Genehmigung aus der Einleitung des Buches „Aikido – Die friedfertige Kampfkunst zur Persönlichkeitsentwicklung“ von Dirk Kropp und Christina Barandun. Erschienen im Kösel Verlag, ISBN 978-3-466-34524-3
[…] Teil 2 betrachten wir, wie der Gründer des Aikido, Morihei Ueshiba, die Ethik des Bushido neu […]